Wenn’s passt: Passen im Scrabble
Über Taktik beim Scrabblen ist schon viel geschrieben worden. Recht selten ging es dabei ums Passen im Scrabble – was nicht verwundert, da diese Option nicht allzu häufig keinen Vorteil bringt. Neulich allerdings verhalf mir das Aussetzen zu einem Sieg in einem Turnierspiel.
Sebastian Herzog ist Mitgründer und Vorsitzender des Scrabble Deutschland e.V. Zuvor hob er im Jahr 2000 gemeinsam mit dem ZEIT-Redakteur Dr. Wolfgang Lechner das erste deutschlandweite Scrabble-Turnier, das ZEIT-Turnier, aus der Taufe. Mehr über ihn erfahrt ihr in einem unserer Interviews.
Partie beendet, wenn beide Seiten zweimal in Folge passen im Scrabble
Bevor ich jedoch darauf eingehe, sei noch ein Ausflug in die Historie erlaubt, der ebenfalls interessante Einblicke in die Welt des Passens birgt. Ob sich die Geschichte tatsächlich so abgespielt hat, wie ich sie in Erinnerung habe, möchte ich nicht beschwören. Aber ähnlich wird die Sache sicherlich abgelaufen sein. Was man dazu wissen muss: Wenn beide Seiten zwei Mal in Folge passen, ist eine Partie beendet. Dann werden jedem Spieler die Punkte der Buchstaben auf dem Bänkchen von seinem Ergebnis abgezogen.
Bei einer offiziellen Veranstaltung erhoben sich zwei Spielerinnen wenige Minuten nach Beginn von ihren Plätzen und verließen den Saal. Ihre Partie war beendet - nach vier Runden, wenn ich nicht irre. Und das kam so: Die beiden Kontrahentinnen waren nach je zwei Zügen punktgleich. Spielerin eins hatte einen Blanko sowie lauter Ein-Punkt-Buchstaben auf dem Bänkchen. Über welche Buchstaben ihre Gegnerin (Spielerin zwei) verfügte, weiß ich nicht. Meines Wissens passte zuerst Spielerin zwei, was Spielerin eins prompt erwiderte. Auf das erneute Aussetzen von Spielerin zwei hin rechnete Spielerin eins flugs nach und kam zu dem Ergebnis, dass sie bei einem vorzeitigen Ende der Begegnung vermutlich die Nase vorn haben würde. Ein Remis war ihr als Minimum sicher. Pikant an dieser Angelegenheit war, dass Spielerin zwei die Regeln nicht so gut kannte und nicht wusste, dass zweimaliges, beiderseitiges Passen zum Abbruch führt.
Sebastian und das Passen im Scrabble
Nun aber zu meinem eigenen Erlebnis mit dem Passen im Scrabble:
Mir gegenüber saß eine mit allen Scrabble-Wassern gewaschene Dame, eine wahrhaft Große der Zunft. Wir befanden uns tief in der Endphase der Partie, die von Anfang an einem Krimi glich. Die Führung hatte häufiger gewechselt, zumal beide Seiten je zwei Bingos platzieren konnten. Nun stand es 380 zu 366 für mich, meine Kontrahentin war am Zug. Sie legte AKMEN über ein Feld mit dreifachem Wortwert, dotiert mit 37 Punkten. Mir kamen Zweifel an der Form, woraufhin ich um Prüfung bat. Wir gingen zum Checker und erfuhren, dass das Wort nicht zulässig ist. Meine Gegnerin wirkte überrascht, doch auf dem Rückweg zum Tisch keimte in mir Misstrauen auf. Sollte sie, die was weiß ich wie viele Turniere gewonnen hat und über einen schier unglaublich großen Wortschatz verfügt, nicht wissen, dass es zu AKME keinen Plural gibt? Oder hat sie schlicht geblufft? Lag es gar an ihrer Erkältung?
Verunsichert ließ ich mich nieder, während mein Gegenüber die ausgelegten Buchstaben wieder aufs Bänkchen beförderte. Ich hatte nur noch wenige Minuten auf der Uhr, doch ich brauchte erst mal ein Weilchen, um mich zu sammeln. „Was hat sie da geritten?“, schwirrte mir unaufhörlich, immer und immer wieder, durch den Kopf. Schließlich landete mein vagabundierender Blick auf den am Rand des Protokollblattes aufgelisteten Buchstaben. Ich strich – eigentlich mehr als Beschäftigungstherapie – nach den bereits ausgelegten auch jene Buchstaben ab, die auf meinem Bänkchen lagen. Das erwies sich als überfällig, ergab sich doch, dass nur noch acht Steinchen übrig waren – darunter das Q. Nur eine einzige Stelle auf dem Spielfeld erlaubte noch das Ablegen des Hochkaräters: ein verlorenes I, links und rechts daneben schnöde, grüne Felder. Fortan fuhren meine Gedanken Achterbahn. Wenn mein Visavis das Q bereits auf dem Bänkchen liegen hat, warum hat sie es nicht platziert? Geht sie davon aus, dass ich unaufmerksam bin oder falsch abgestrichen habe? Zockt sie in der Hoffnung, dass ich etwas übersehe? Plötzlich ergab ihr letzter Zug einen Sinn: Selbstverständlich wusste sie, dass es AKMEN nicht gibt, und ebenso selbstverständlich ging sie davon aus, dass ich es anzweifeln würde – damit ich an der Reihe bin und entweder das Q, wenn ich es denn bereits habe, für 11 Punkte ablegen muss, oder, wenn ich es erst noch ziehe, darauf sitzen bleibe. Wie durchtrieben!
Facettenreichtum des Scrabble Spieles
Guter Rat war also teuer. Die Sekunden verrannen, bis mir die rettende Idee kam. Sie werden es ahnen, liebe Leser: ich passte. Wenn wir beide zwei Mal nacheinander aussetzten, gewönne ich dank des kleinen Vorsprungs. Wenn meine Gegnerin nun das Q legte, führe ich über das einzige noch zugängliche Feld mit dreifachem Wortwert ausreichend Punkte ein, um die Nase vorn zu behalten. Entschiede sie sich anderweitig, machte ich den Zugang zum Q zu.
Meine Mitspielerin überraschte mich anschließend mit ANMERK an eben jener Stelle, an der sie zuvor AKME gelegt hatte, wofür sie sogar 40 Punkte erhielt. „Dubios“, dachte ich mir, „das hätte sie ja auch gleich legen können.“ Sie ging zwar mit 26 Zählern in Führung, doch das war mir in diesem Moment egal. Ich legte GIG über das freie I, sie erntete noch 13 Punkte für ein wohlplatziertes N – und von da an konnte ich meine Allerweltsbuchstaben Stein um Stein ablegen, während mein Gegenüber auf dem Q saß und ein ums andere Mal aussetzen musste.
Ich habe nie erfahren, ob meine geschätzte Kontrahentin tatsächlich auf mein Anzweifeln von AKMEN gesetzt hat, um mich an den Zug zu bringen. Zuzutrauen ist es ihr, weil sie einfach eine ganz großartige, ausgebuffte Spielerin ist. Vielleicht lag es aber auch nur an ihrem Infekt. Ich jedenfalls war dankbar für diese Partie, weil sie wieder mal den unglaublichen Facettenreichtum der Scrabbelei unterstrich. Und weil sie mir eine Anekdote bescherte, die mich seinerzeit einen ganzen Abend lang frohlocken ließ.
Mehr Kolumnen von Sebastian gibt es auf wort-suchen.de, u.a. ging es in der letzten um die Betonung von Wörtern im Scrabble.
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