Gutmensch ist Unwort des Jahres 2015 - Ein Gegenschmähbrief
Das Unwort des Jahres 2015 - es menschelt!
Eine gute Nachricht! WIR sind Unwort des Jahres 2015! "Wir" meint allerdings nicht uns alle im päpstlichen Sinne. "Wir", dass sind die, die ES schaffen - das Merkelsche Viertel, welches die Flüchtlingskrise aktiv bewältigt. Die ehrenamtlich in der Flüchtlingshilfe engagierten. Sie sind genauso unerträglich wie sensible Esser, Tierschützer, Toleranzapostel und Gegendemonstranten. Sie sind am Helfersyndrom erkrankt und müssen durch Schmähung geheilt werden!
Was tut der Gutmensch?
Wenn WIR etwas gut können, dann Kategorien austeilen. Und wenn es etwas gibt, das WIR nicht mögen, dann sind das Leute, die UNS schlecht dastehen lassen, obwohl WIR doch gar nichts tun! Gutmenschen betrachten Toleranz und Akzeptanz als etwas einheitliches, das sich in einer humanitären Grundhaltung (z. B. Hilfsbereitschaft, Nächstenliebe etc.) offenbart. Es sind Gesinnungsterroristen, weil sie eine Alternative zur anonymen Wutbürgerei ideologisch vorleben. Nichts ist naiver, dümmer oder weltfremder, als jemand der mit gutem Beispiel voran geht. Nichts für ungut, wo kommen wir denn da hin? Fest steht, wo wir bereits angekommen sind: In einer Gesellschaft, die sich so sehr in Negativbeschreibungen und Schuldzuweisungen suhlt, dass es sich schon rufschädigend auswirkt, etwas positives entgegenzustellen. Neu ist das nicht. Menschen, die sich durch Idealismus hervortun sind immer schon attackiert worden. Waren sie 2011 noch zweitplatziertes Internetphänomen, haben sie es 2015 als Gruppe Gutmensch zum Unwort des Jahres gebracht. Nichts für ungut, aber das ist nicht mehr komisch.
Das Unwort im erweiterten Blickfeld des Humors
Seit 1991 wird aus dem öffentlichen Diskurs ein Begriff nominiert, der sich kontextuell als antihumanistisch, antidemokratisch, diskriminierend und/oder bagatellisierend hervorgetan hat. An den Vergabekriterien hat sich seither nichts verändert. Neu ist in diesem Jahr die Erweiterung der Jury um eine ganz andere Art von Linguisten, nämlich den Kabarettisten Georg Schramm. Komiker und Kabarettisten sind die Soziologen unter den Sprachforschern. Sie rücken der Sprache auf den Leib, wenn diese durch Politik und Medien instrumentalisiert wird. Schramm hat in seiner langen Bühnenkarriere auch Sprachsensibilisierung betrieben. Man braucht sich nur sein Programm von 2006 anzuhören. Ein Begriff wie Lebenserwartung hat danach nicht mehr die gleiche Bedeutung:
Wenn wir uns ein Bild von der Lebenserwartung machen - so wie wir diesen Begriff benutzen - dann liegen wir alle falsch (...) suchen Sie sich einen vergleichsweise jungen Arbeitslosen und dann sagen Sie dem mal in aller Ruhe ins Gesicht: 'Ist Dir klar dass du mal 80 wirst?' Sie lachen... weil Sie sich vorstellen können, dass der sich gar nicht freut! (aus "Thomas Bernhard hätte geschossen".)
Der amerikanische Standup-Comedian (und ebenfalls Soziologe) George Carlin empfand beispielsweise die politisch-korrektive Beschönigung, den "Euphemismus" generell als Unwort. Anhand der fortlaufenden Weichspülung des Begriffes "Shellshock" (1. Weltkrieg) von je einer Generation Kriegsversehrter zur nächsten bis hin zu "Post-traumatic Stress disorder" (Vietnam) formulierte er den Verlust von Menschlichkeit in der Sprache durch Weichzeichnung:
Ich wette, würden wir es immer noch Shellshock nennen - einige der Vietnamveteranen hätten sicher die Aufmerksamkeit bekommen, die sie damals gebraucht hätten. (George Carlin)
Kann man nun über schlimme Worte oder deren Beschönigung lachen? Nein. Man muss. Und wenn das Lachen im Hirn stecken bleibt - umso besser!
Unwort des Jahres - Cui Bono?
Probleme stillschweigend lösen zu wollen geht nach hinten los. Der gesellschaftliche und politische Diskurs geht bereits dahin, in der Krise die Chance zu sehen - wie es auch der deutsche Philosoph und Friedensforscher Carl Friedrich von Weizsäcker vorgeschlagen hat. Wenn also in der Krise die Chance enthalten ist und wir das Unwort des Jahres als eine Frage begreifen, ist die Antwort ebenfalls in ihm zu suchen. Das Unwort ist kein VOLDEWORT, das nicht genannt werden soll. Jedes Unwort des Jahres ist ein Begriff, über dessen Entstehung wir reflektieren, ja, auch sprechen müssen. Nicht die Sprache schafft das Unwort, sondern die soziale Wirklichkeit. Nicht Gutmensch ist Unwort des Jahres, sondern seine Bewertung. Nichts für ungut.
Bildquellen
- Unwort des Jahres 2015: Bildrechte bei der 1337 UGC GmbH
- Unwort des Jahres 2015 gutmensch: Bildrechte bei der 1337 UGC GmbH