Das Wort des Jahres - von 1971 bis heute
Wie der Name schon vermuten lässt, wird jedes Jahr aufs Neue das Wort des Jahres gewählt. Warum? Nicht nur weil es ein angenehmer Zeitvertreib für Sprach-Verliebte ist, sondern vor allem um in einem Wort zusammenzufassen, was im jeweiligen Jahr die Deutschen besonders beschäftigt hat.
Nehmen wir zum Beispiel das Wort des Jahres 2012 - Rettungsroutine. Die Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS) wählte es, um den Trend um die Euro-Krise hervorzuheben. Zurecht - nirgends konnte man als durchschnittlicher Medien-Nutzer dem Thema entkommen, alle sprachen darüber. Und doch wird eben dieses Wort des Jahres mit am meisten von allen kritisiert - doch dazu später mehr.
Seit 1971, regelmäßig aber erst ab 1977, wird jedes Jahr durch die GfdS mit einem bestimmten Begriff besetzt - mit einer interessanten Langzeitentwicklung. Denn eine Aufzählung aller bisherigen Wörter des Jahres, liest sich wie ein äußerst kurz gehaltenes Geschichtsbuch der letzten Jahrzehnte.
Im folgenden findet ihr eine Aufzählung aller bisherigen Wörter des Jahres mit teils entsprechenden Kommentaren.
2019 Respektrente
Die GfDS sieht in dem auf Bundesarbeitsminister Hubertus Heil zurückgehenden Begriff die "Neubildung eines Hochwertwortes in der politischen Debatte". Wer es auf mindestens 35 zusammenhängende Erwerbsjahre bringt, erhält ab 2021 in Deutschland eine Grundrente. Als Aufstocker, natürlich.
2018 Heißzeit
Obwohl schon 1983 heißer Herbst und 2007 Klimakatastrophe zum Wort des Jahres gekürt wurden, kennt auch heute die Mehrheit nicht den Unterschied zwischen Klimawandel und globaler Erwärmung. Dafür war es im April hübsch warm.
2017 Jamaica-Aus
Wir erinnern uns, bereits 2005 war die Jamaika-Koalition auf Platz 6 hinter Gammelfleisch im Rennen. Letztlich ist es dann doch Bundeskanzlerin geworden. 2017 konnte man sich offenbar nicht zu #metoo bekennen und gab lieber dem Jamaica-Aus den Vorzug - und das, obwohl Denkmal der Schande auch drin gewesen wäre...
2016 postfaktisch
Ein Fantasiewort, geboren in einer Zeit, in der die emotionale Wahrheit über die empirische obsiegt. Anders ausgedrückt: Wenn nur genügend Menschen lange genug die gleiche Unwahrheit hinnehmen, wird diese irgendwann postfaktisch zur Wahrheit. Orwell's that ends well.
Faktisch chancenlos hingegen: Brexit auf Platz zwei und Silvesternacht auf Platz drei.
2015 Flüchtlinge
Der Name einer fortwährenden menschlichen Katastrophe. Trauriger Sammelbegriff für das Erbe von Krieg und wirtschaftlicher Not. Thematischer Aufhänger und Schlagwort unterschiedlichster politischer Bewegungen. Weltweit.
2014 Lichtgrenze
Name einer temporären Kunst-Installation in Berlin anläßlich des 25. Jahrestags des Mauerfalls.
2013 GroKo
Abkürzung für die im Jahr 2013 gebildete Große Koalition aus CDU/CSU und SPD.
2012 Rettungsroutine
Laut der GfdS spiegelt dieser Begriff "nicht nur das schon seit einigen Jahren dauerhaft aktuelle Thema der instabilen europäischen Wirtschaftslage wider, sondern beschreibt zudem die zahlreichen und wiederkehrenden Maßnahmen, die bisher zur Stabilisierung unternommen wurden."
2011 Stresstest
Das Wort kommt ursprünglich aus dem medizinischen Bereich und benennt einen Test, der physische und psychische Reaktionen auf Stress-Situationen messen soll. Seit 2011 wird er universell genutzt - Banken, Atomkraftwerke, Landesregierungen und das Bahnhofsprojekt Stuttgart 21 wurden jeweils einem Stresstest unterzogen.
Die Worte des Jahres in der ersten Dekade des 3. Jahrtausends
2010 Wutbürger
Laut der GfdS beschreibt dieses Wort Bürger, welche "über ihre Wahlentscheidung hinaus ein Mitspracherecht bei gesellschaftlich und politisch relevanten Projekten" haben wollen und dies durch Empörungen und Proteste öffentlich kundtun.
2009 Abwrackprämie
Staatliche Prämie für das Verschrotten eines alten Fahrzeuges und anschließender Zulassung eines Neuwagens.
2008 Finanzkrise
Begriff der die Immobilien-, Kredit-, Liquiditäts-, und Wirtschaftskrise des Jahres 2007 zusammenfasst.
2007 Klimakatastrophe
Schlagwort für die Folgen einer unkontrollierten globalen Erderwärmung.
2006 Fanmeile
Bezeichnung von Orten, an denen audiovisuelle Sportübertragungen für eine große Menschenmenge stattfinden, die insbesondere während der Fußball-WM 2006 zahlreich auftraten.
2005 Bundeskanzlerin
Angela Merkel wird zur Regierungschefin gewählt. Erstmalige Besetzung des Amtes mit einer Frau seit Bestehen der Bundesrepublik.
2004 Hartz IV
Maßnahme zur Reform des Arbeitsmarktes.
2003 Das alte Europa
Vom damaligen US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld geprägte Umschreibung der Länder Frankreich und Deutschland als Teil eines „alten“ Europas, welches dem Irak-Krieg 2003 ablehnend und kritisch gegenüber stand. Nach Rumsfeld waren eben nicht alle Amerikaner im amerikanischen Sinne.
2002 Teuro
Kunstwort welches sich aus den Wörtern teuer und Euro zusammensetzt und Umschreibung einer Wahrnehmung, dass sich nach der Währungsunion Waren und Dienstleistungen verteuert hätten.
2001 Der 11. September
Symbol-Name für die Terror-Anschläge auf die zwei Türme des World-Trade-Centers und das Pentagon in den USA am 11. September 2001.
Das letzte Wort des Jahres im vergangenen Millenium
Dieses Wort zeigt auch in anderer Weise eine Zäsur auf, nicht nur den Jahrtausendwechsel.
2000 Schwarzgeldaffäre
Tagesaktuelle Beschreibung für die CDU-Spendenaffäre in den 1990er Jahren.
1999 Millenium
Bezeichnung des bevorstehenden Jahrtausendwechsels, welcher unter anderem von der kollektiven Furcht vor dem Computerproblem Y2K begleitet wurde.
1998 Rot-Grün
Umschreibung einer politischen Koalition aus der SPD und Bündnis 90/Die Grünen.
1997 Reformstau
Politisches Schlagwort zur Umschreibung von Unterlassungen von Reformen.
1996 Sparpaket
Begriff, der im Allgemeinen die Gesamtheit finanzpolitischer Maßnahmen bezeichnet, die der Erfüllung eines Einsparungszieles und der Verringerung eines Budgetdefizites dienen sollen. Das Jahr 1996 war gekennzeichnet von hoher Neuverschuldung des Bundes, wirtschaftlichen Pleiten in Ostdeutschland und Privatinsolvenzen.
1995 Multimedia
Der englische Begriff „Multimedia“ („viele Medien einsetzend“) fand im Zusammenhang mit der zunehmenden digitalen Vermittlung von Inhalten Einzug in den deutschen Sprachalltag.
1994 Superwahljahr
Ein Jahr in dem außergewöhnlich viele politische Wahlen stattfinden.
1993 Sozialabbau
Politisches Schlagwort, welches einen Abbau von Sozialleistungen umschreibt.
1992 Politikverdrossenheit
Beschreibung einer negativen Einstellung bis Ablehnung gegenüber politischer Entwicklungen und/oder Strukturen.
1991 Besserwessi
Diffamierende Beschreibung von westdeutschen Bürgern, bzw. Personen aus den alten Bundesländern, als besserwisserisch und belehrend gegenüber Bürgern der neuen Bundesländer.
1990 Die neuen Bundesländer
Umschreibung der fünf Bundesländer, die aus den ehemaligen 14 DDR-Bezirken entstanden.
Vom Kalten Krieg und dessen Erweichung - Gesellschaftliche Umwälzungen in den Worten des Jahres in den 80ern
1989 Reisefreiheit
Am 9. November 1989 wurde DDR-Bürgern freigestellt, das Land verlassen und wieder zurückkehren zu dürfen.
1988 Gesundheitsreform
Politischer Begriff für die Veränderung der Rahmenbedingungen im Gesundheitswesen und der Krankenversicherung durch gesetzgeberische Maßnahmen. Mit dem Gesundheitsreformgesetz von 1988, welches zum 1.1.1989 in Kraft trat, sollten Einsparungen in Höhe von damals 14,5 Milliarden DM für die gesetzliche Krankenversicherung realisiert werden. Der Begriff wurde 1996 auch als Kandidat zum Unwort des Jahres gehandelt.
1987 Aids, Kondom
Erst- und bisher einmalig teilten sich zwei Begriffe den Titel „Wort des Jahres“. 1987 wurde die Krankheit AIDS in Deutschland zum Wahlkampfthema gemacht. Die damalige Gesundheitsministerin Rita Süßmuth vertrat die Linie der Aufklärung und Prävention. Andere Politiker wie Peter Gauweiler wollten HIV-Infizierte ausgrenzen. Ebenfalls 1987 starten unter anderem das „Sofortprogramm der Bundesregierung zur Bekämpfung von Aids“ und die Kampagne „Gib Aids keine Chance“ der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA). Beide Begriffe beherrschten den öffentlichen Diskurs, weit über die 80er Jahre hinaus.
1986 Tschernobyl
Symbol-Name für die Nuklearkatastrophe im ukrainischen Tschernobyl.
1985 Glykol
Alkohol, welches sich mitunter in Frostschutzmitteln und Enteisern befindet.
1984 Umweltauto
Umschreibung eines energiesparenden PKWs.
1983 heißer Herbst
Umschreibung einer Friedensbewegung welche gegen den NATO-Doppelbeschluss protestierte. Der Beschluss sah eine Nachrüstung atomarer Raketen in Westeuropa vor.
1982 Ellenbogengesellschaft
Umschreibung einer egozentrischen Gesellschaft, welche auf soziale Umgangsformen verzichtet.
1981 Nulllösung
Der Begriff steht im Zusammenhang mit der Rüstungsdebatte der 1980er Jahre und umschreibt ein Abkommen zwischen den USA und der Sowjetunion, bestimmte Waffensysteme beidseitig abzurüsten und zu verbieten.
Die Anfänge des Wort des Jahres in den 70ern des letzten Jahrunderts
1979 Holocaust
Maßgeblich durch den amerikanischen Vierteiler „Holocaust – die Geschichte der Familie Weiss“ nach dessen Erstausstrahlung im Deutschen Fernsehen etablierter Begriff, der seitdem im Zusammenhang mit der Aufarbeitung der Nazizeit verwendet wird. Wörtlich übersetzt bedeutet der Begriff „Brandopfer“.
1978 konspirative Wohnung
Eine private Wohnung die weniger als Unterkunft und viel mehr zur Ermöglichung illegaler oder geheimdienstlicher Aktivitäten genutzt wird. Die Wahl dieser Phrase begründet sich durch die Aktualität der damaligen terroristischen Anschläge durch die RAF, welche aus solchen Wohnungen koordiniert wurden.
1977 Szene
Netzwerk von Personen, die sich aufgrund gemeinsamer Interessen oder Überzeugungen organisieren und repräsentieren.
1971 aufmüpfig
Ein dem Österreichischen und Bayerischen entstammendes Adjektiv, dessen Bedeutung „aufsässig“ und „widersetzlich“ ist und welches sich im Sprachgebrauch der Politischen Linken der 60er und 70er Jahre wiederfand. Aufgrund seiner Beliebtheit und Verbreitung auch in den deutschen Medien wurde „aufmüpfig“ zum ersten Wort des Jahres überhaupt in Deutschland gewählt.
Wer die Wahl hat, hat die Qual.
Die Qual hat in diesem Fall die Jury der Gesellschaft für deutsche Sprache - eine Vereinigung zur Pflege und Erforschung der deutschen Sprache. Der Vorstand der GfdS sowie eine Anzahl von ausgewählten Journalisten und Medienvertretern, wählen aus tausenden von Einsendungen und Vorschlägen in einer ersten Runde die ihrerseits zehn wichtigsten Wörter aus, um schließlich aus ihnen dann das Wort des Jahres zu küren.
Laut der GfdS sollen diese Wörter jene Begriffe widerspiegeln, die "den öffentlichen Diskurs des Jahres wesentlich geprägt und das politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben sprachlich in besonderer Weise begleitet haben."
Neben der thematischen Relevanz, müssen die vorgeschlagenen Wörter aber auch eine öffentliche Nennung vorweisen können und mindestens einmal in deutschen Medien oder Reden genannt worden sein. Irrelevant ist hingegen, wie oft sie anschließend noch öffentlich geäußert wurden - eine Regelung die für weitläufige Kritik sorgt.
Kritik
Der Widerspruch in der Wahl um das Wort des Jahres liegt darin, dass das Top-Wort charakteristisch für ein öffentlich diskutiertes Thema sein soll, zeitgleich aber nicht häufig genannt worden sein muss.Wie kann aber ein Wort, das für eine breite öffentliche Diskussion steht und dementsprechend durch alle Medien geht, nur selten genannt sein? Noch prekärer wird das Ganze dann, wenn das Wort des Jahres ursprünglich in einen ganz anderen Kontext stand als es von der GfdS umschrieben wird.
Dies ist der Fall für das Wort des Jahres 2012 Rettungsroutine. Im Korpus der GfdS taucht das Wort genau einmal auf. Es hat also zumindest die Aufnahmekriterien einer ersten öffentlichen Äußerung erfüllt. Allerdings wurde der Artikel, in dem es genannt wurde, im Jahr 2001 publiziert - das Wort welches das Jahr 2012 repräsentieren sollte, war bereits mehr als zehn Jahre alt.
Zudem beschäftigt sich der ursprüngliche Artikel weniger mit wirtschaftlichen Themen der EU als viel mehr mit Sicherheitssystemen von Pkws: "Denn heute starten Sicherheitssysteme wie Airbag oder Gurtstraffer ihre Rettungsroutine erst, wenn sich die Kontrahenten tatsächlich berühren [...]" (St. Galler Tegeblatt, Das sehende Auto, 09.11.2001)
Die GfdS äußerte sich nicht weiter zu diesem Fauxpas, wird aber wahrscheinlich in folgenden Wahlen den Kontext ihrer ausgewählten Wörter einmal mehr prüfen.
Von Wörtern und Unwörtern
Neben den Wörtern des Jahres werden auch regelmäßig Unwörter, Jugendwörter und sogar Anglizismen des Jahres gewählt. Auch im internationalen Rahmen ist man kreativ - die Bandbreite reicht von schnöden Words of the Year bis hin zum Most Euphemistic Word of the Year.
Ihr seid interessiert an ähnlichen Artikeln wie diesen? Aufzählungen und Beschreibungen aller bisherigen Unwörter und Jugendwörter des Jahres findet ihr bei uns!
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Bildquellen
- Wort des Jahres: Bildrechte bei der 1337 UGC GmbH