Über den Spielfeldrand - Bens Scrabble-Erfahrungen bei den US-Nationals
Ben Berger ist deutscher Scrabbler, der auch gerne mal auf Englisch scrabbelt. Vom 1. bis 5. August 2015 nahm er deshalb an einem der größten Turniere der Welt, den nordamerikanischen Scrabble-Meisterschaften der North American SCRABBLE Players Association (NASPA) teil. Exklusiv für euch hier sein Erfahrungsbericht!
„The biggest little city in the world“ als Austragungsort
Da ich die nordamerikanischen Scrable-Meisterschaften schon immer mal erleben wollte und ohnehin noch Urlaub übrig hatte und außerdem seit langem einen Freund in Los Angeles besuchen wollte, bin ich kurzerhand nach Reno geflogen und habe mich angemeldet.
Reno liegt im Westen von Nevada, einige Autostunden östlich von San Francisco. Dieser Austragungsort ist nicht bei allen allzu gut angekommen. Zum einen kann man die Stadt, die sich als „biggest little city in the world“ bezeichnet, kaum als schön bezeichnen: Ein Casino steht neben dem anderen, und alles wirkt wie eine schäbige Version von Las Vegas. Ein Ausflug zu dem etwa eine Stunde entfernten, sehr schönem Lake Tahoe hat hierfür aber viele - mich auch - entschädigt. Kritik hat aber vor allem die schlechte Erreichbarkeit innerhalb der USA hervorgerufen, da es nur wenige Direktflüge hierher gibt. Diese Faktoren haben sicherlich eine größere Rolle gespielt, was die vergleichsweise geringe Teilnehmerzahl angeht.
Insgesamt spielten dieses Jahr 342 Spieler. Diese Zahlen sind natürlich immer noch beeindruckend, jedoch waren letztes Jahr etwa 500 Spieler am Start. Der Rekord liegt übrigens bei zirka 800 vor einigen Jahren in New Orleans.
20 Freiwillige sorgten für den reibungslosen Scrabble-Turnier-Ablauf
Spielort war ein zu einem Casino gehörender Ballsaal. Dieser Raum hätte leicht auch 500-600 Spieler fassen können. Sehr unangenehm fiel mir auf, dass es durch die Klimaanlagen extrem kalt in dem Raum war. Ohne Pulli ging da nichts. Die meisten Spieler wohnten in dem zu dem Casino gehörenden Hotel. Es hätte 100 $ mehr gekostet, wenn man woanders gewohnt hätte. Dafür sind die Zimmerpreise extrem okay (75 $ für ein Doppelzimmer pro Nacht, in dem einige der jüngeren auch zu viert schliefen - Da kann man nicht meckern).
Angenehm erschien mir, dass es offensichtlich verpönt ist, sich gegenseitig zur Ruhe anzumahnen. Ab und zu erging von den Schiedsrichtern eine Bitte, oder über das Mikrofon war ein allgemeines „Schhhhhh“ zu hören“. Nett auch die Schiedsrichter in ihren schwarz-weißen Schiedsrichterhemden; es fehlte nur die Trillerpfeife! Es gab 20 mehr oder weniger Freiwillige, die nur dafür da waren, dass alle anderen ein tolles Turnier hatten, und die selbst nicht spielten, was mich beindruckte.
Vier Divisionen je nach Punktzahl in der US-Rangliste und eine CSW
Die Spieler wurden vor dem Turnier in vier Divisionen von A bis D aufgeteilt, je nach Punktzahl in der aktuellen US-amerikanischen Rangliste (72 Spieler in Division A, 88 in Division B, 88 in Division C, 46 in Division D). Wer wollte, konnte sich auch der Herausforderung stellen, und entgegen seinem Rating sich für eine Division höher anmelden. Eine Sonderrolle spielte die Collins-Division (48 Spieler in der CSW-Division), in der ich spielte.
Unselige Zweiteilung bezüglich der verwendeten Wörterbücher im englischen Scrabble: Nord-Amerika, Thailand und Jerusalem spielen mit dem einen Wörterbuch, der Tournament World List (TWL). Der Rest der Welt und Tel Aviv spielen mit dem anderen, eben dem Collins-Wörterbuch, in dem vor allem mehr obsolete Formen und Wörter etwa aus indischem Englisch oder arabischen Englisch zu finden sind.
Da ich sonst fast nur in Europa spiele, spiele ich mit dem Collins-Wörterbuch. Hier bei dem Turnier führte das zu der etwas bedauernswerten Situation, dass ich mit meinem Rating von 1107 gut in Division drei hätte mitspielen können, nun aber in der Collins-Division „gefangen“ war, wo ich zu den Schwächsten gehörte. Dementsprechend niedrig waren meine Erwartungen. Nach 21 Vorrundenspielen wurde das Feld geteilt. Die besten acht jeder Division spielten dann in „Best of vier“ oder „Best of fünf“ Spielen den Sieger aus. Danach wurde nur noch um die Plätze dahinter gespielt. Auch dieses Format stieß auf einiges an Kritik, insbesondere bei älteren Spielern, da viele der Meinung wären, dass dies zur unfairen Bevorzugung von „Frühstartern“ führen würde. Mir war das alles etwas zu viel „Innenpolitik“. Ich wollte spielen und das habe ich auch gemacht.
Scrabble-Spieler von jung bis alt mit dabei
Eine ganz tolle Erfahrung war die Altersstruktur des Turniers. Bei den meisten Turnieren, die ich bisher gespielt habe, war doch Grau die vorherrschende Haarfarbe, und diejenigen meiner Mitspieler, die jünger waren als ich (ich bin 30) konnte ich in aller Regel an einer Hand abzählen - wenn überhaupt.
Ganz anders hier! Insbesondere in Division eins sind die meisten Spieler zwischen 16 und 30 Jahren, davon sehr wenige Frauen. In den weiteren Divisionen sind dann auch die anderen Altersgruppen stärker vertreten, und der Frauenanteil steigt. Nur die CSW-Division war ganz gemischt, sowohl was die Altersgruppen angeht, als auch was das Geschlecht anging
Warum Scrabble unter Teenagern und Twens in den USA so beliebt ist
Die Popularität unter Teenagern und Twens hat wohl zwei Gründe: Zum einen das 2001 erschienene Buch von Stefan Fatsis, indem er von seinem Weg, von einem absoluten Anfänger, der als Journalist eigentlich nur über ein Turnier berichten will hin zu einem Division-1-Spieler erzählt. Es führte zu einem enormen Popularitätsschub von Scrabble in Nordamerika. Stefan Fatsis, den ich auch in Reno kennengelernt habe, nannte daher diese Generation von 15-30 jährigen auch „Generation Word Freak“. Ein weiterer Faktor ist das sehr beliebte Schul-Scrabble-Turnier, in dem hunderte von Zweierteams von High Schools aus ganz USA und Kanada seit Jahren um den Titel streiten. Die Sieger werden dann stets in die sehr populäre Show „Jimmy Kimmel Live!“ eingeladen, was wiederum zu einer gewissen Popularität von Scrabble unter jungen Leuten führt. In Deutschland gab es Schülermeisterschaften ja leider nur für eine sehr kurze Zeit zwischen 2005 und 2007. Sieht man die Erfolge der nordamerikanischen Jugendarbeit, ist man doch sehr neidisch und überlegt, wie unsere Turnierlandschaft heute wohl aussähe, wenn dieses Turnier hätte fortgesetzt werden können.
Die vielen jungen Spieler geben dem Turnier natürlich auch einen ganz anderen Anstrich. Höhepunkt waren zweimalige Basketballspiele, bei denen sich Spieler aller Divisionen zwischen 15 und 30 (vor allem aus Division 1) beteiligten. Ich gehörte zwar zu den Ältesten, aber konnte doch immer noch ganz gut mithalten. Eine ganz neue Erfahrung: ein Basketballmatch unter Scrabblern. Man stelle sich das bei einem deutschen Turnier vor.
Abwechslungsreiches Rahmenprogramm für Scrabble-Turnierspieler
Auch sonst war das Rahmenprogramm durchaus abwechslungsreich. Ein Allgemeinwissensquiz bei dem das Siegerteam 400$ gewinnen konnte, ein bunter Abend, bei dem viele Scrabbler auch Musikinstrumente verschiedener Art mitgebracht hatten (einige Gitarren, eine Ukulele, ein Akkordeon) und 2 ½ Stunden sehr abwechslungsreicher Musikdarbietungen boten, und natürlich viele Stunden von Sparringsspielen und Fachsimpelei. Insbesondere die vielen gespielten Scrabble-Varianten waren für mich sehr spannend. Sehr beliebt war das Spiel, bei dem man möglichst wenig Punkte erzielen musste, wobei Zugzwang bestand, und man mindestens zwei Steine pro Zug spielen musste, und man nur zweimal pro Spiel tauschen durfte, oder Anagramms, bei dem man aus in einem Pool liegenden Buchstaben Wörter bilden musste, und wenn man dann einen weiteren Buchstaben dazu zog dem Gegner die Wörter stehlen konnte, wenn man ein längeres Wort legen konnte. Ich war hierbei naturgemäß sehr schlecht, und wurde von einem 15-jährigen haushoch geschlagen. Spannend war auch Dave Wiegand und John O’Laughlin, zwei der besten nordamerikanischen CSW-Spielern zuzusehen, und wie sich an ihrem Tisch die 10- und 11-buchstabigen Wörter sammelten. Kurz und gut, auch die Abende waren in aller Regel gesellig und oft wohlorganisiert.
Bens Scrabble-Ergebnisse in der CSW-Division
anzeigen verbergenUm es kurz zu machen: Die ersten zwei Tage musste ich viel Lehrgeld zahlen. In den ersten zwölf Partien konnte ich nur zwei Spiele für mich entscheiden. Neben der schon angesprochenen Stärke meiner Gegenspieler spielte auch der Faktor eine Rolle, dass ich sehr lange brauchte wieder „englisch zu denken“. Meine beiden einzigen Siege konnte ich mit sehr guten Buchstaben und einfachen Scrabblern erreichen. In den weiteren Spielen konnte ich mich allmählich immer wieder besser einfinden, und so konnte ich von den letzten sieben Spielen vier gewinnen, und das obwohl ich, da Wiederholungen verboten waren, nun gegen immer bessere Gegner spielte. Etwas ärgerlich war eine verlorene Partie, die ich hätte gewinnen können, wenn ich einfach nur sechs Punkte für CANE gelegt hätte, aber aufgrund falschen Abstreichens dachte, dass ich dies nicht reichen würde, und so den Phoney CEN* versuchte. Umgekehrt hatte ich dann aber auch in den letzten Partien einen ungehörigen Dusel, so dass ich schließlich doch mein Minimalziel von acht Partien bei 31 Spielen erreicht hatte, und am Ende Nummer 44. von 48 Spielern in der CSW-Divison wurde.
Das Finale unter anderem zwischen Kanada und den USA
Entgegen der vielen Kritik führte das Format zu sehr spannenden Runden insbesondere als es in Runde 21 um den Einzug unter die letzten acht ging. Hier gab es große Dramen zu bestaunen: In Division eins leistete der eine der Reinke-Zwillingsbrüder Schützenhilfe für den anderen, so dass dieser gerade noch unter die letzten acht einzog. In der CSW-Division sorgte ein Unentschieden zwischen Steve Polatnick und Geoff Newman dafür, dass der eigentlich fast chancenlose John O’Laughlin noch auf Rang acht ins Viertelfinale einzog. In diesen Play-Off-Spielen hatten dann jeweils die beiden besten Spieler nach der Vorrunde die Oberhand: Matthew Tunnicliffe (Kanada) und Jesse Day (USA) in Divison eins und Peter Armstrong gegen den Favoriten Dave Wiegand in CSW.
Die Spiele wurden für alle in einem anderen Ballsaal übertragen. Peter Armstrong konnte gegen Dave Wiegand 3:2 gewinnen. Beinahe tragisch aber war das Spiel zwischen Jesse Day und Matthew Tunnicliffe. Jesse gehörte auch zu den Basketballern, so dass ich ihm besonders die Daumen drückte, aber wie alle anderen musste ich beim Zuschauen doch schlucken: In Spiel eins hätte Jesse jedes Wort für zwei Punkte legen können und hätte so Spiel eins für sich entschieden. Jedoch plagte ihn große Zeitnot, und so bemerkte er nicht, dass sich, als er das Wort LIER legte auch das ungültige Wort IR waagerecht ergab. Matthew zweifelte den Zug zu Recht an, und entschied so dass Spiel mit nur zwei Punkten Vorsprung für sich. Das Spiel endete insgesamt 3:2 und so blieb die ernüchternde Erkenntnis, dass auch zwischen den besten Spielern des Kontinents sich ein Spiel aufgrund eines zweibuchstabigen Wortes entscheiden kann. Ich hatte aber das Spiel gar nicht mehr bis zum Schluss verfolgen können: San Francisco und Los Angeles wollte ich schließlich auch noch besucht haben.
Bens Fazit zu den US-Nationals 2015 in Reno
Die US-Nationals waren ein insgesamt sehr gut organisiertes Turnier, dass mir mal wieder vor Augen führte, wie wunderbar reich die Welt des internationalen Scrabbles sein kann und auch Jugendliche sind für Scrabble erreichbar, wenn die richtigen Voraussetzungen gegeben sind. Auf der anderen Seite aber hatte ich auch das gute Gefühl, dass bei uns doch die Gemütlichkeit und Geselligkeit zu Recht noch einen sehr hohen Stellenwert genießt, und regelrechte verbandspolitische Streitigkeiten eher der Seltenheit angehören.
Herzlichen Dank an Scrabble in Deutschland e.V. dafür, dass sie in letzter Sekunde durch eine Art „bilaterales Abkommen“ meine Teilnahme an dem Turnier überhaupt möglich gemacht haben. Nächstes Jahr findet das Turnier in Fort Wayne/Indiana statt. Da schaffe ich es sicher nicht teilzunehmen, aber 2017 in New Orleans nehme ich mir fest vor dabei zu sein – Kommt jemand mit?
Mehr Bilder von den US-Nationals im Scrabble 2015 könnt ihr euch übrigens bei der NASPA ansehen.
Bildquellen
- Reno Nevada Scrabble US Meisterschaften 2015: <a href="https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Reno_%28Nevada%29.JPG" target="_blank" rel="nofollow">Lómelinde</a>
- Schiedsrichter US-Scrabble-Meisterschaft: <a href="http://event.scrabbleplayers.org/2015/nasc/build/photo/24/PH1_1530.html" target="_blank" rel="nofollow">Patricia A. Hocker/NASPA</a>
- Finalbrett US-Scrabble-Meisterschaften: <a href="http://event.scrabbleplayers.org/2015/nasc/build/photo/32/PH1_2137.html" target="_blank" rel="nofollow">Patricia A. Hocker/NASPA</a>
- Ben Berger US-Nationals Scrabble: <a href="http://event.scrabbleplayers.org/2015/nasc/build/photo/24/PH1_1510.html" target="_blank" rel="nofollow">Patricia A. Hocker/NASPA</a>