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Quallenknödel - Siegerbeitrag zur Geschichte des Scrabble

Quallenknödel - Siegerbeitrag zur Geschichte des Scrabble

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Es ist soweit. Im Oktober hatte die 1337 UGC GmbH, zu der wort-suchen.de gehört, zum zweiten Mal ein Stipendium ausgeschrieben, um besondere Aufsätze zu honorieren. Diesmal war eine Abhandlung der Geschichte des Brett- und Onlinespiels Scrabble vom Grundstein bis zum #BuchstabenYOLO gefragt.

Viele haben sich beteiligt und wir hatten die Qual der Wahl. Nach gründlichem Lesen aller Beiträge waren wir uns aber schnell einig: Stephan Gräfe machte das Rennen. Seinen Text über die Geschichte des Scrabble könnt ihr hier nachlesen!

Mehr Informationen über Scrabble und auch das Turnierleben gibt es bei uns und wenn ihr bei eurem eigenen Spiel mal nicht weiter wisst, gebt unserer Scrabble Hilfe eine Chance, die eignet sich auch gut zum Wörter üben!

Quallenknödel

Scrabble: Ein Wort, acht Buchstaben – 16 Punkte. Wenn ich meine Steine zu diesem Wort auf dem Spielbrett auslegen würde, fänden sich sicherlich einige pedantische Kontrahenten, die augenblicklich Einspruch erhöben. „Das ist ein Produktname“ würde mir dann entgegnet „den kannst du nicht legen, dann ginge ja auch Fanta, Hornbach oder Ikea.“ Wenn ich dann darauf verweise, dass es aber zudem auch ein Spiel ist, „Schach“ beispielsweise auch ein gültiges Wort ist, dann ernte ich nur Spott. Schließlich hat Schach eine lange Tradition und wurde nicht als Marke an einen Konzern verkauft. Daraufhin könnte ich in Rage geraten, sagen, dass nach der Industrialisierung doch aber jedes Spiel als Marke vertrieben wird, was hieße, dass niemals wieder in der Geschichte ein Spiel ein gültiges Wort beim Scrabble werden kann. Trocken wird mir ein „Genau“ zu geraunt. Ich würde den Zug zurückziehen und stattdessen 9 Punkte für „lesbar“ bekommen woraufhin mein imaginärer Kontrahent nur mürrisch gucken würde während er die eigenen Steine sortiert.

Genau dieser Aspekt bildet nun schon seit etwa sieben Jahrzehnten den Kern dieses Spiels – der Streit ums Wort. Verschiedene Temperamente spielen verschiedene Versionen und jeder passionierte Scrabble-Spieler hat sicherlich schon ein ums andere Mal eine Auseinandersetzung erlebt, die in absurdester Sprachakrobatik und Gelächter endete. Wunderbar parodierte Paul Winkelmann alias Loriot eine solche Situation in seinem Film Ödipussi, wo er mit seiner Mutter und deren Damenkränzchen einen Spieleabend verbringt bei dem natürlich auch Scrabble nicht fehlen darf. Die am großmütterlichsten anmutende Dame verlängert dabei „Hund“ zu dem Wort „Hundnase“. Als sie jedoch von ihren Mitspielern darauf aufmerksam gemacht wird, dass es korrekt Hundenase heißen müsse, nimmt sie sämtliche Steine vom Spielbrett und legt stattdessen „Schwanzhund“, was letztlich zu einer grotesken Diskussion führt in dessen Verlauf eine andere der Damen zu Protokoll gibt: „Dann hätte ich vorhin auch meine Quallenknödel legen können.“

Als der Architekt Alfred Mosher Butts 1931 in seinem Haus in Pughkeepsie (New York), arbeitslos und wahrscheinlich ohne rechten Zeitvertreib, nach einer Möglichkeit suchte, Glücksfälle und Planungsstrategie in einem Brettspiel miteinander zu kreuzen, hätte er sich wohl nie träumen lassen, dass Jahrzehnte später weltweit Spieler aus 121 Ländern in 31 Sprachen regelmäßig zu Hobbylinguisten avancieren und den Staub von den Buchdeckeln der hauseigenen Wörterbücher wischen, um zu kontrollieren, was der Gegenspieler da so auf das Brett gebracht hat.

Anfänglich war es noch eine kleine Unternehmung, Butts hatte die nationale Begeisterung für Kreuzworträtsel im Sinn und entwickelte unter dem Namen „Lexico“ eine erste Version dessen, was Jahre später zu einem Klassiker werden sollte. Schon in dieser Entwicklungsphase bestand das Spiel aus 100 Holzplättchen, die jeweils einen Buchstaben des Alphabets trugen, welche unterschiedliche Wertungen besaßen. Um diese zu bestimmen, studierte er regelmäßig die Titelblätter der New York Times hinsichtlich der Häufigkeit bestimmter Buchstaben. Ein Versuch des Architekten Lexico 1933 patentieren zu lassen scheiterte, da sich die Parker Brothers, die kurze Zeit später mit Monopoly einen Welterfolg feierten, schlichtweg kein Interesse an seinem Konzept hatten. In den darauf folgenden Jahren fertigte Butts also etwa 200 Brettspiele in Handarbeit an, die er mühsam verkaufte. Mehrfach wechselte er dabei den Namen des Spiels von Lexico, zu New Anagrams und später über Criss-Crossword zu Scrabble, was im Englischen in etwa „herumsuchen“ bedeutet. Dann begann Butts, ein Spielbrett zu entwickeln, beklebte Schachbretter und bemalte die Spielsteine per Hand, kleine Buchstaben auf 50 Quadratzentimeter großen Holzquadraten. Neue Regeln wurden aufgestellt und wieder verworfen. Doch der kommerzielle Erfolg blieb weiterhin aus, sodass Butts das Projekt ruhen ließ.

Buchstabenwahrscheinlichkeit durch Butts

Zumindest bis ins Jahr 1948 als einer seiner Freunde, der Anwalt James Brunot, so begeistert von dem Spiel war, dass er vorschlug selbst die Vermarktung in die Hand zu nehmen. Brunot kümmerte sich also darum die Spiele zu bewerben und einen Absatzmarkt aufzutun, während Butts für jedes verkaufte Spiel durch eine Urheberrechtsprämie entlohnt wurde. Am 16. Dezember 1948 wurde das Spiel dann schließlich unter dem Namen „Scrabble“ registriert. Doch der Vertrieb lief immer noch zäh und das Ehepaar Brunot war, wie zuvor auch Butts, gezwungen, die Spiele weiterhin in Handarbeit zu produzieren. 1949 wurden lediglich 2251 Spiele verkauft, was einen Verlust von 450 Dollar mit sich brachte. Die anfängliche Begeisterung schlug allmählich in Frustration um. Als sie allerdings nach einem Urlaub nach Hause zurückkehrten, erwartete sie eine Lawine von Bestellungen des Brettspiels. Noch im selben Jahr setzte auch Jack Strauss, Präsident der Kette Macy’s in New York, erstmals Buchstabensteine auf ein Scrabblebrett und war derartig von dem Spiel eingenommen, dass er es in sein Sortiment übernahm. Der Verkauf stieg im darauf folgenden Jahr auf 6000 Spiele pro Woche, weshalb Brunot, um die Herstellung bewältigen zu können, die Produktionsrechte an den Spielwarenhersteller Selchow & Righter verkaufte. Die Nachfrage wuchs so stark an, dass nicht genügend Spiele produziert werden konnten, um den Bedarf zu decken und zur gleichen Zeit expandierte Scrabble nach Australien und Großbritannien. Schließlich verkaufte Brunot die Rechte, mit Ausnahme derer von Australien, Kanada und Nordamerika. Die Hertsellungsrechte gingen von Selchow & Righter an Coleco und nach deren Insolvenz schließlich an Hasbro. Unter diesem Firmendach setzte Scrabble seinen weltweiten Siegeszug fort.

Dank des zeitlosen Designs und seiner Beliebtheit ist Scrabble heute tief in der Popkultur verankert: Von CSI bis zu den Simpsons hat das Spiel seinen Auftritt. In Roman Polanskis Film Rosemaries Baby, als auch in der Romanvorlage von Ira Levin, bemerkt Rosemary sogar durch ein Scrabble-Spiel, dass der Name ihres Nachbarn Roman Castevat eigentlich ein Anagramm für Steven Marcato ist, welcher der Sohn eines Satanisten ist, der vormals in dem Haus, in dem sie jetzt lebt, ermordet wurde. Und unter die berühmten Scrabble-Fans reihen sich Namen wie Sting, Keanu Reeves oder Mel Gibson.

Dieser Erfolg ist wohl auch der Tatsache geschuldet das Scrabble immer klug im öffentlichen Bewusstsein gehalten wurde, sei es durch eine gleichnamige Gameshow im US-amerikanischen Fernsehen, diverse Spielvarianten (Scrabble Karten, Party Scrabble, Scrabble Trickster usf.) oder durch Medienevents. Zum 50. Jubliäum von Scrabble wurde beispielsweise im Wembley Stadium der Brettspielgrößenrekord gebrochen, als auf einem 900 Quadratmeter großen Feld mit zwei Quadratmeter großen und 40 Zentimeter dicken Spielsteinen aus Fiberglas Navy und Army mit rund 100 kiloschweren Buchstaben im Scrabble gegeneinander antraten. Die Navy ging früh mit dem schottisch-englischen Wort „wickie“ in Führung, was die Army zwar mit „deathly“ über sieben Buchstaben parierte, den Sieg aber letztlich doch um zwei Punkte verfehlte. Zudem sind da auch noch die Weltmeisterschaften, die seit 1991 veranstaltet werden. An der zweiten, welche in New York ausgerichtet wurde, nahm auch der Erfinder Alfred Butts teil, der noch im selben Jahr im Alter von 93 Jahren verstarb.

Den neuesten Coup landete Mattel allerdings 2018 mit einer Werbeaktion, als sie Scrabble vermeintlich auf „Buchstaben YOLO“ umtauften und deren aus der Mode geratenes Testemonial Mc Fitti in einem Werbespot einer Scrabble, Pardon, Buchstaben YOLO spielenden Familie die Jugendsprache von vor fünf Jahren näher brachte. Die Zeitungen gerieten außer sich und die Menschen tippten ihre Entrüstung in scheinbar unendlich langen Kommentarleisten in sozialen Netzwerken aneinander.

Zum siebzigsten Geburtstag hatte man sich einen Spaß erlaubt, der wohl noch lange als denkwürdiges Ereignis der Werbegeschichte zurückbleibt und eines nochmals verdeutlichte – die Leidenschaft, die Menschen für dieses Spiel hegen. Und auch ich zähle mich zu einem dieser passionierten Spieler, der gegenüber Freunden aus der Haut fährt wenn sie „Quallenknödel“ legen wollen oder deprimiert Löcher in die Luft starrt, wenn ich in der Scrabble-App bei höherem Schwierigkeitsgrad scheitere.

Aneinandergelegt ergäben sämtliche Spielsteine eine Strecke, die acht Mal die Erde umrunden würde und ich hoffe, dass sie irgendwann bis zum Mars reichen wird.

Bildquellen

Titelbild: Anja Goritzka für wort-suchen.de, 1337 UGC GmbH

Buchstabenwahrscheinlichkeit von Butts: Alfred Butts, Public domain via Wikimedia Commons; https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Alfred_Butts_letter_frequencies.JPG