Internationaler Tag der Muttersprache
Mit jeder Sprache, die ausstirbt, wird ein Bild des Menschen ausgelöscht.
Octavio Paz (1914 - 1998)
Am 21. Februar feiert die UNESCO den 14. Internationalen Tag der Muttersprache. Er ist allen bedrohten Sprachen und ihren Sprechern gewidmet. Zugleich soll er aber auch an vier Studenten erinnern, die für ihre Muttersprache ihr Leben ließen. Was dahinter steckt und wie es um die Sprachen dieser Welt bestellt ist, erfahrt ihr hier.
Der Hintergrund
Nachdem das kolonialisierte Britisch-Indien 1947 in Pakistan und Indien aufgeteilt wurde, war die Lage für Pakistan desolat. Getrennt durch Indien, unterschieden sich Ost- und Westpakistan kulturell und sprachlich dermaßen, dass beide nur auf dem Papier eine Einheit bildeten. Als dann die Regierung Pakistans im Jahr 1948 Urdu zur alleinigen Amtssprache deklarierte, obwohl sie nur von weniger als 3% der Bevölkerung Ostpakistans (heute Bangladesch) gesprochen wurde, verschlimmerte sich die Lage zunehmend. So begab es sich am 21. Februar 1952, dass Studenten vor der Universität von Dhaka offen und entgegen eines Verbotes für ihre Muttersprache (Bengali) demonstrierten und alsbald von der Polizei beschossen wurden. Vier junge Menschen starben an diesem Tag im Kampf um das Recht, ihre Muttersprache sprechen zu dürfen. Seitdem begeht ganz Bangladesch diesen Tag der Sprachbewegung als Gedenktag.
Aufgrund eines Schreibens von Rafiqul Islam, dem Initiator des Internationalen Tags der Muttersprache, an die UNESCO wurde am 21. Februar 2000 zum ersten Mal auch international den vier Verstorbenen sowie allen bedrohten Sprachen dieser Welt gedacht.
Der Linguapax-Preis
Seit dem Jahr 2002 wird am Internationalen Tag der Muttersprache zusätzlich der Linguapax-Preis vom Linguapax-Institut der UNESCO in Barcelona verliehen. Er zeichnet Menschen aus, die sich für die Erhaltung der sprachlichen Vielfalt, Mehrsprachigkeit und die Reaktivierung sowie Revitalisierung unterschiedlicher Sprachgemeinschaften einsetzen.
Zu den Geehrten zählen unter anderem Neville Alexander (2008), ein Mitstreiter Nelson Mandelas, der sich für eine mehrsprachige Ausbildung einsetzte und die auf Mauritius ansässige Gesellschaft Ledikasyon pu Travayer (2013), die sich für die Sprachen Kreol morisyen and Bhojpuri stark macht.
Das Aussterben von Sprachen und ihr Schutz
Doch trotz der Bestrebungen vieler sprachliebender Menschen stirbt jede zweite Woche eine Sprache aus. Sollte dieser Trend anhalten, werden bis zum Ende des 21. Jahrhunderts von den uns bekannten knapp 6000 Sprachen nur noch etwa 3500 übrig sein. Am ehesten vom Verschwinden betroffen sind dabei jedoch Sprachen, die über weniger als 1000 Sprecher verfügen - also circa 27% aller Sprachen weltweit.
Wieso Sprachen aussterben
Auch wenn das Aussterben einer Sprache im ersten Moment traurig erscheinen mag, liegt ihm doch in der Regel ein natürlicher Prozesses zugrunde. Sprachen sind keine statischen oder isolierten Einheiten, sondern viel mehr dynamische Gebilde, die auf gesellschaftliche und kulturelle Erfordernisse reagieren und sich so stets gegenseitig beeinflussen und weiterentwickeln. Stirbt eine Sprache innerhalb dieses Prozesses aus, ist nicht immer eine treibende Kraft daran schuld. Trotzdem gab und gibt es weiterhin auch eine Vielzahl an Fällen, wo gezielte Eingriffe von Menschen dazu führen, dass Sprachen verschwinden. So bedrohten und bedrohen kolonialisierende Länder und religiöse Gruppen ganze Völker und ihre Sprachen, indem sie in ihre Gebiete einfallen, die Ansässigen diskriminieren, assimilieren oder bei Bedarf deportieren. Ein Beispiel hierfür ist unter anderem die Kolonialisierung Südamerikas durch Portugal und Spanien.
Wie bedrohte Sprachen überleben können
Doch nicht alle Minderheitensprachen müssen zwangsläufig aussterben. So reicht es häufig, wenn sich ihre Sprecher für ihren Erhalt einsetzen, die Sprache wirklich nutzen und sie ggf. auch lehren. Wenn sie dann noch von Politik und Öffentlichkeit unterstützt werden, hat ihre Sprache eine gesicherte Zukunft. So gibt es weltweit immer mehr Bestrebungen, bedrohte Sprachen zu retten. Etwa in Europa zeigt sich gerade, dass die Gewährung regionaler und kultureller Autonomie, eine zweisprachige Erziehung und öffentliche Förderprogramme probate Mittel sind, um Minderheitensprachen vor dem Aussterben zu bewahren.
Aussterbende Sprache
Trotz aller Bemühungen sind auf jedem Kontinent unzählige stark bedrohte Sprachen zu finden. Einen kurzen Einblick bekommt ihr hier.
Afrika
Ungefähr 2100 der weltweit bekannten Sprachen sind in Afrika beheimatet, 350 davon stark bedroht.
Seit der arabischen Kolonialisierung Nordafrikas im 7. Jahrhundert werden unter anderem die masirischen Sprachen immer weiter verdrängt. Besonders gravierend passiert dies in Algerien, wo noch etwa 25% der Bevölkerung eine davon sprechen. Trotz alledem unterdrückt die dortige Regierung alle Bestrebungen der Masiren, ihre Sprachen zu fördern.
Stark bedroht sind jedoch auch die südafrikanischen San und ihre Klicklautsprachen. Obwohl sie zu einem der ältesten Völker der Welt gehören, werden sie bis heute von ihren Ländereien vertrieben und diskriminiert, so dass kaum mehr als 100 000 San übrig sind. Die Verbliebenen können in der Regel nicht lesen oder schreiben, arbeiten auf Farmen und haben in politischen Fragen kein Mitspracherecht. Eine ihrer bedrohtesten Sprachen ist Xiri. Sie wird nur noch von weniger als 90 Personen gesprochen.
Asien
Auf dem sprachenreichsten Kontinent, Asien, sind etwa 1000 Sprachen vom Aussterben bedroht – darunter knapp 200 in Indien und 150 in Indonesien.
Akut gefährdet ist unter anderem Ainu, die Sprache der japanischen Ureinwohner. Sie wird nur noch von weniger als 15 Menschen beherrscht. Einen Anteil hatte daran unter anderem die damalige Regierung Japans, die die Ureinwohner Hokkaidos im Jahr 1869 zu Landsleuten erklärte, zu Hilfsdiensten nötigte und ihre Muttersprache verbot.
Aber auch eine Sprache, die noch von mehr als 6 Millionen Menschen aktiv gesprochen wird, kann zu den bedrohten Sprachen gehören. Ein Beispiel dafür ist Tibetisch, dessen Überleben aufgrund des ökonomischen Drucks – Arbeit nur mit fließendem Mandarin bekommen zu können – immer gefährdeter ist.
Australien
Noch bis zum Ende des 18. Jahrhunderts gab es auf dem australischen Kontinent über 800 verschiedene indigene Sprachen. Im 21. Jahrhundert sind davon nicht mehr als 150 übrig. Schuld daran war unter anderem die Sprachpolitik Australiens, die versuchte, die Sprache der Aborigines zu verdrängen. Um diesen Fehler jedoch wieder gut zu machen, gibt es nun Bestrebungen von Seiten der Regierung, die verbliebenen indigenen Kulturen und Sprachen zu schützen.
Die Sprache Yanyuwa wird jedoch nur schwer zu retten sein, da sie nur noch von weniger als 10 Personen beherrscht wird. Es ist aber dem Anthropologen John Bradley zu verdanken, dass Yanyuwa zumindest auf dem Papier weiter bestehen wird, da er den Wortschatz und die Grammatik dieser Sprache verschriftlichte.
Nordamerika
Zwischen 1997 und 2009 sind in Nordamerika mehr als 20 Sprachen ausgestorben. Aufgrund dieses Trends versucht die dortige Regierung seit dem Jahr 2006 mithilfe des Esther Martinez Native American Languages Preservation Acts etwas zur Rettung ihrer Minderheitensprachen zu unternehmen.
Unter anderem gehört die Sprache Hawaii zu den gefährdeten Sprachen der USA. Zwar ist sie neben Englisch die offizielle Amtssprache Hawaiis, wird jedoch nur noch von etwa 1000 der 140000 Hawaiianer gesprochen.
Schlimmer steht es jedoch um die Sprache Skarure des indigenen Volks der Tuscarora. Von den knapp 1000 Tuscarora, die vorwiegend in ihren Reservaten im Bundesstaat New York oder Ontario leben, sprechen nur noch etwa 10 ihre Muttersprache. Dank der staatlichen Mittel wird Skarure jedoch wieder an regionalen Schulen gelehrt, so dass die Zahl der Sprecher in der Zukunft zunehmen sollte.
Südamerika
Seit der Kolonialisierung Südamerikas durch Portugal und Spanien im 15. und 16. Jahrhundert ist es nicht gut um die Sprachen der indigenen Völker bestellt.
Beispielsweise ist in Guatemala Itza' Maya, eine alte Maya-Sprache, stark gefährdet. Von den 2000 Angehörigen des Itza' Maya Volkes beherrschen vielleicht noch fünf ihre Muttersprache und 60 weitere benutzen sie sporadisch. Das Aussterben dieser Sprache ist abzusehen. Aber auch hier ist es einem Anthropologen, Charles Andrew Hofling, und seiner Sprachdokumentation zu verdanken, dass Itza' Maya zumindest in schriftlicher Form weiter existieren kann.
Europa
Auch Europa kann sich nicht von Sprachbedrohungen freisprechen. So ist dort unter anderem die russische Sprache derart einflussreich, dass beispielsweise Ewenkisch, die Sprache des indigenen Volkes der Ewenken in Russland, nur noch von etwa 8000 der eigentlich 36 000 Ewenken gesprochen wird. Eines ihrer uns allgemein bekannten Wörter ist „Schamane“.
Aber auch in Deutschland sind einige bedrohte Sprachen zu finden. Ein Beispiel hierfür ist Sorbisch, welches nur noch von etwa 30000 der eigentlich 60000 Sorben gesprochen wird. Schlimmer sieht es nur bezüglich des Friesischen oder Saterfriesischen aus. So sprechen von den knapp 60000 Friesen nur noch etwa 10000 Friesisch und 1000 der knapp 13000 Saterfriesen Saterfriesisch.
Wenn ihr mehr Informationen zum Thema „aussterbende Sprachen“ wollt, dann schaut euch das PDF-Dokument: „Bedrohte Sprachen – Gefahr für Minderheiten weltweit“ der Gesellschaft für bedrohte Völker an. Es ist eine fantastische Quelle und gibt einen guten und umfangreichen Überblick zur Thematik.
Was denkt ihr, ist es jede Sprache wert, gerettet zu werden oder haltet ihr diese Aufregung um bedrohte Sprachen und den Internationalen Tag der Muttersprache für übertrieben. Wir freuen uns auf eure Kommentare.
Bildquellen
- Shaheed_minar_Roehl: Karl Ernst Roehl http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Shaheed_minar_Roehl.jpg
- Internationaler Tag der Muttersprache: Bildrechte bei der 1337 UGC GmbH